Pfarrer Mihail RAHR, Russische Orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchat)
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Predigt zum Herrentag zu Ehren des Heiligen Gregorios Palamas (Hebr. 1: 10– 2: 3; 7: 26 - 8: 2; Mk. 2:1-12; Joh.10:9-16)
16.03.2014
Liebe Brüder und Schwestern,
am zweiten Sonntag der Großen Fastenzeit ehren wir das Gedächtnis des heiligen Gregorios Palamas, der in den letzten zwölf Jahren seines irdischen Lebens als Erzbischof von Thessaloniki (1347-59) ein entschlossener Verfechter der zuvor auf dem Heiligen Berg erlernten hesychastischen Praxis als Weg zur „Vergöttlichung“ war. Aus diesem Umstand ergibt sich auch die Bedeutung für unsere augenblickliche asketische Bestrebung, uns durch das Fasten mit dem Herrn spirituell zu vereinigen und dadurch die Theosis zu erlangen.
Wie jetzt? Ich kann wie Gott sein?! - Ja, ich kann (vgl. Ps. 80: 6 und Joh. 10: 34-36). Aber nicht im Schnelldurchlauf, wie manch einer nach dem ersten Anbandeln mit der Orthodoxie vielleicht denkt und am Tag seiner Taufe schon wie die drei Jünger auf dem Berg das ungeschaffene Licht erblicken will.
Die für heute vorgeschriebenen Lesungen sind in gewisser Weise die Bestätigung der Worte Gottes aus dem Schöpfungsbericht: „Lasst uns Menschen machen als Unser Abbild, Uns ähnlich“ (Gen. 1: 26). Weiter heißt es: „Gott schuf also den Menschen als Sein Abbild; als Abbild Gottes schuf Er ihn“ (1: 27). Die christlichen Exegeten sind sich darin einig, dass mit dem „Abbild“ Gottes die ein für alle Mal gegebene natürliche „Wesensverwandtschaft“ des Menschen mit seinem Schöpfer gemeint ist (Vernunft, Gefühl, Willen). Mit der „Ähnlichkeit“ hingegen, die ja im Ratschluss Gottes beabsichtigt (s. 1: 26), aber bei der Erschaffung des Menschen noch nicht gegeben ist (s. 1: 27), wird die potentielle Fähigkeit des Menschen zur Erlangung der göttlichen Eigenschaften gemäß der Gnade (aber nicht der Natur nach) angedeutet. Das besagen ja die Worte, dass wir als Kinder Gottes „das Heil erben sollen“ (Hebr. 1: 14).
Das Heil des Menschen führt also nicht über menschliches Wissen und Werke, also nicht über Theorie und Praxis, und auch nicht über die Engel (diese Ansicht war bei den Adressaten des Hebräerbriefs verbreitet), sondern nur über den Gottessohn und Menschensohn Jesus Christus. ER ist das Vorbild, Dem wir durch beharrlichen spirituell-tugendhaften Eifer „ähnlich“ werden wollen.
Die ersten Zeilen des Briefes an die Hebräer zeugen davon, dass der Sohn über die ganze himmlische Schöpfung herrscht (s. Hebr. 1: 6). Und weiter heißt es in der heutigen Lesung: „Zu welchem Engel hat (Gott) jemals gesagt: Setze Dich Mir zur Rechten, und Ich lege Dir Deine Feinde als Schemel unter die Füße? Sind sie nicht alle nur dienende Geister, ausgesandt, um denen zu helfen, die das Heil erben sollen?“ (1: 13-14). Wir können also Erben Dessen sein, Der über Himmel und Erde herrscht (s. Mt. 28: 18).
Von dieser Macht kündet die vom Evangelisten Markus festgehaltene und heute vorgetragene Begebenheit. Der Messias war wegen der Heilsbotschaft über die Vergebung der Sünden in die Welt gekommen, und nicht in erster Linie, um das zeitliche Leid zu lindern – obwohl Er, unbestritten, die Macht für beides besaß. Er will die Menschen durch Worte zum Glauben bewegen, nicht durch spektakuläre Zeichen (s. Mk. 1: 43-45). Glauben muss man, ohne zu sehen, „denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende“ (2. Kor. 5: 7; vgl. Joh. 20: 29), wenngleich der Herr von Anbeginn „die Verkündigung durch die Zeichen, die Er geschehen ließ“, bekräftigte (Mk. 16: 20).
Um den Zweck Seines Wirkens noch einmal deutlich zu zeigen, verkündet Er das Wort von der Umkehr des Menschen im Beisein der Schriftgelehrten in einem Haus in Kafarnaum. Als vier Männer voll des Glaubens einen Gelähmten durch eine Öffnung im Dach zu Ihm herunterlassen, vergibt der Herr ihretwegen dem Kranken seine Sünden (s. Mk. 2: 1-4). Die empörte Reaktion der Schriftgelehrten: „Wer kann denn Sünden vergeben, außer dem einen Gott?“ (2: 7) ist, im Gesamtkontext dieser Erzählung betrachtet, eine ungewollte Bestätigung der göttlichen Autorität Christi, denn Er entgegnet ihnen: „Ist es leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben!, oder zu sagen: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh umher?“ (2: 9).
Christus kann beides, also ist Er der Sohn Gottes. Und so wird der Mann auch von seinem körperlichen Leiden geheilt.
Welche Lehren ziehen wir nun aus der Heilung des Gelähmten von Kafarnaum?
1. Wir müssen uns im Glauben an unseren Herrn Jesus Christus wenden, denn nur Er kann die seelischen Gebrechen heilen (s. 2: 5), folglich auch die körperlichen. Jede Sünde ist eine Lähmung der Seele, also muss es uns vornehmlich um die Heilung der Seele gehen. Nur wenn dem so ist, können wir in Zeiten irdischer Not ehrlich und aufrichtig zu Gott sagen: „Dein Wille geschehe“ (Mt. 6: 10), denn Gottes Prioritäten sind klar. Es ist doch geradezu ein folgenschwerer Zustand spiritueller Schizophrenie, wenn wir die besagten Worte unachtsam mit den Lippen sprechen, zugleich aber in unserem Innersten denken: „Mein Wille soll geschehen!“ So erhält der Hintergedanke Vorrang, und dann betrügen wir nicht uns selbst, sondern Gott (vgl. Apg. 5: 4). „Darum müssen wir umso aufmerksamer auf das achten, was wir gehört haben, damit wir nicht vom Weg abkommen“ (Hebr. 2: 1), lautet eine weitere Lehre aus der heutigen Apostellesung.
2. Nichts darf uns von unserem Bestreben zur Vereinigung mit unserem Herrn Jesus Christus abhalten können. Die sichtbaren und unsichtbaren Hindernisse werden immer größer, je mehr wir uns nach dieser Gemeinschaft sehnen. Nur so erklärt sich ja, warum man jedes Mal auf solch starke Widerstände trifft, wenn man einfach nur nach den Geboten des Herrn leben und handeln will. Welch eine unglaubliche, beizeiten kriminelle Energie entwickeln dagegen Menschen, die sich nicht um Gottes Gebote scheren und nur den eigenen Vorteil im Blick haben! Alle Türen scheinen sich ihnen von selbst zu öffnen, während wir Gläubige hart mit uns kämpfen müssen, um auch nur das absolute Minimum an christlicher Moral und Frömmigkeit zu bewerkstelligen (s. Lk. 16: 8). Aber so ist es von Gott gewollt, denn nur so können wir Ihm unsere Treue zeigen. Und die Fastenzeit eignet sich vorzüglich dazu, uns verstärkt darauf zu konzentrieren, was Gottes Willen ist. Hierbei muss alles Störende zurückstehen.
Dabei ist es aber höchst gefährlich, sich durch „gute Vorsätze“ selbst unter Druck zu setzen. Diese vom Eifer nach Erlangung hehrer Ziele verschleierte Selbstsicherheit erweist sich allzu oft als kaschiertes Bestreben nach Durchsetzung des eigenen Willens (Selbstbestätigung, Geltungssucht), und führt am Ende meistens zu entgegensetzten Resultaten. Aus diesem Grunde ermahnt uns der Apostel Jakobus: „Ihr sollt lieber sagen: Wenn der Herr will, werden wir noch leben und dies oder jenes tun“ (Jak. 4: 15). So entgeht man der Gefahr, am Ende durch Scheitern an der eigenen Schwäche zu verzweifeln. Eine durch Erfahrung und geistliches Leben geschulte Vertrauensperson kann im Bestreben nach Erfüllung des göttlichen Willens lebenden Menschen dabei zwar beratend zur Seite stehen, ihnen die verantwortungsvolle Entscheidung über „richtig“ und „falsch“ aber nicht abnehmen.
3. Wir sollen immer auch unseren Mitmenschen helfen, den Weg zu Christus zu finden. Welchen Einfallsreichtum, welch kreative Tatkraft legen wir gewöhnlich an den Tag, - überzeugen, manipulieren, bearbeiten Andere - um unsere persönlichen irdischen Interessen zu verteidigen oder durchzusetzen?! Aber was tun wir, damit andere Menschen den Herrn erkennen? Wäre es nicht ein glaubhafter Ausdruck der Nächstenliebe, wenn wir wenigstens einen geringen Teil unserer Kapazitäten darauf verwenden würden, dass der Name unseres Himmlischen Vaters von allen anderen Menschen geheiligt und dass Sein Reich auch zu unseren entfernten Nächsten kommt (s. Mt. 6: 9-10)? Seien wir uns also unserer Verantwortung bewusst, weil wir Rechenschaft ablegen müssen für die uns zugewiesenen Gnadengaben: „Denn wenn schon das durch Engel verkündete Wort rechtskräftig war und jede Übertretung und jeder Ungehorsam die gerechte Vergeltung fand, wie sollen dann wir entrinnen, wenn wir uns um ein so erhabenes Heil nicht kümmern, das zuerst durch den Herrn verkündet und uns von den Ohrenzeugen bestätigt wurde?“ (Hebr. 2: 2-3).
Wir können während der Großen Fastenzeit schon einmal den Ernstfall proben, und uns um unser Seelenheil sowie um das unserer Mitmenschen „kümmern“. So werden wir alle zu Erben der himmlischen Verheißungen, zu Teilhabern der uns vergöttlichenden Gnade.
Amen.
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