Deutscher Bundestag
Drucksache 17/13479, 17. Wahlperiode
14. 05. 2013
Antrag
der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Altötting), Alexander Dobrindt, Mechthild Heil, Dirk Fischer (Hamburg), Reinhard Grindel, Axel Knoerig, Dr. Frank Steffel, Manfred Kolbe, Dieter Stier, Christian Freiherr von Stetten, Karin Strenz, Heinz Peter Wichtel, Armin Schuster, Karl A. Lamers, Ingo Wellenreuther, Norbert Barthle, Stefan Müller (Erlangen), Michael Grosse-Brömer, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten der Abgeordneten Serkan Tören, Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, Nicole-Bracht-Bendt, Hans-Werner-Ehrenberg, Oliver Luksic, Dr. Daniel Volk, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP
Integration von Menschen mit Migrationshintergrund im und durch den Sport nachhaltig stärken
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
In Deutschland leben mehr als 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Die meisten von ihnen haben ihren Platz in der deutschen Gesellschaft gefunden. Einigen fällt es aber immer noch schwer, sich in Deutschland zurechtzufinden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine sprachliche Distanz, unterschiedliche Wertevorstellungen oder bürokratische Barrieren können zu einer gefühlten oder schlimmstenfalls realen Isolation führen. Das Ziel einer wirkungsvollen Integrationspolitik sollte es daher sein, eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Dabei zählt nicht, woher jemand kommt, sondern insbesondere ob er integrations- und leistungsbereit ist. Schließlich
ist Integration kein einseitiger Prozess, sondern fordert die Aufnahmegesellschaft wie auch Menschen mit Migrationshintergrund gleichermaßen. Die Integration kann nur gelingen, wenn gegenseitiger Respekt, Toleranz und Offenheit selbstverständlich sind. Grundvoraussetzungen für eine gelungene Integration sind dabei die Beherrschung der deutschen Sprache, die Akzeptanz unseres Rechtssystems und die Bereitschaft, Verantwortung für sich und für andere zu übernehmen.
Integration ist eine Querschnittsaufgabe, die alle politischen Ebenen berührt. Die Förderung von Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Unabhängig von kulturellen und religiösen Prägungen sollte eine Gesellschaft allen Menschen die gleichen Chancen gewähren, ihre Talente und Fähigkeiten zu entwickeln. Dabei braucht insbesondere die Kinder- und Jugendarbeit Kontinuität, die auf Vertrauen, gegenseitigem Respekt und Toleranz basiert. Der Sport leistet in diesem Zusammenhang einen unverzichtbaren Beitrag. Der Sport erhöht das physische und psychische Wohlbefinden und stärkt die persönliche Leistungsfähigkeit. Insbesondere der Breitensport ermöglicht eine ganzheitliche Entwicklung der Persönlichkeit und schafft damit auch die individuellen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration. Der Einzelne setzt sich im Sport mit wichtigen gesellschaftlichen Werten auseinander. Hierzu gehören nicht nur Fairness, Verantwortung und Leistungsbereitschaft, sondern auch der gemeinsame Umgang mit Niederlagen und Rückschlägen.
Das Bewegungserlebnis in der Gemeinschaft und der Einsatz für ein gemeinsames Ziel schaffen ein „Wir-Gefühl“, das man in keinem anderen gesellschaftlichen Bereich in dieser intensiven Form finden kann. Sport kann damit eine Kultur der Offenheit und des Miteinanders schaffen, braucht dazu aber die Unterstützung der Politik. Die gemeinsame Freizeitgestaltung führt dazu, dass insbesondere Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund durch Sport erfahren, dass sie ihre eigenen Talente in die Gemeinschaft und Gesellschaft einbringen können. Diese Erfolgserlebnisse und die damit verbundene soziale Anerkennung schaffen Raum für individuelle Entfaltung
und ermöglichen eine ganzheitliche Integration. Sportliche Erfolge fördern darüber hinaus das Selbstwertgefühl, sie verstärken soziale Kontakte und schaffen Freundschaften, die über den Sport hinausgehen. Ein besonderes Merkmal des Sports ist es, dass er über eine niedrigere Partizipationshürde als alle anderen Integrationsbereiche verfügt. Anders als bei den prioritären Integrationsbereichen, wie der Schule, dem Arbeitsplatz oder dem sozialen Umfeld, bedarf es hier
geringer Zugangsvoraussetzungen, wie Regelkunde, Spielverständnis und weniger tiefgehende Sprachkenntnisse.
In einem Sportverein aktiv zu sein bedeutet viel mehr, als nur gemeinsam Sport zu treiben. Der Sport bringt Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter, sozialem Status, religiöser oder politischer Anschauung, körperlichen Voraussetzungen, Herkunft oder sexueller Orientierung in bundesweit über 91.000 Vereinen zusammen. Damit erbringt der Sport eine unschätzbare gesellschaftliche Integrationsleistung. Die Vereinskultur in Deutschland lebt von einem starken ehrenamtlichen
Engagement, gegenseitigen Hilfestellungen und nimmt eine starke Vermittlungsposition für das Erwerbs- und Schulleben ein. Insbesondere für Menschen mit Migrationshintergrund ist der Aufbau von Sozial- und Netzwerkkapital ein wichtiger Faktor für den schulischen und beruflichen Erfolg.
Auch im vereinsungebundenen Sport ist die Integration wichtig. Immer mehr Menschen treiben in kommerziellen Gesundheits- und Fitnessstudios oder auf öffentlichen Grünanlagen, Straßen und Plätzen selbstorganisiert Sport. Hier sind die Akteure noch stärker selbst gefragt, Diskriminierungen abzubauen und das offene Miteinander zu stärken.
Diskriminierung und Rassismus dürfen im Sport keinen Platz haben - zudem verkehren sie die Ziele der Integration ins Gegenteil. So müssen aufkeimendem Rassismus und Fremdenfeindlichkeit weiterhin durch Solidarität und Zivilcourage begegnet werden. Die vielfältigen Initiativen der Vereine, der Verbände, der organisierten Fans in den Stadien und der Fanprojekte gegen Rassismus, Ausgrenzung oder Homophobie müssen noch besser unterstützt und miteinander vernetzt werden. Eine weiterhin in den Vordergrund zu stellende, klare Positionierung der Vereine zu Respekt und Toleranz ist dazu dringend erforderlich, nicht zuletzt um auch die eigene Jugendarbeit
auf eine werteorientierte Grundlage zu stellen. Mit beispielsweise Änderungen in den Vereinssatzungen oder Anpassungen in den Stadionordnungen haben viele Vereine in der letzten Zeit auf integrative Entwicklungen reagiert.
Der Sport hat große Integrationspotentiale, die politisch begleitet und vor Ort genutzt werden müssen, denn Integration gelingt durch Sport häufig schneller und problemloser als in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Der vorbildhafte Charakter von (Spitzen- und Breiten-) Sportlern – mit und ohne Migrationshintergrund – darf nicht unterschätzt werden. Sie können Anstoß für Menschen sein, sich selbst im sportlichen Bereich zu engagieren und zur Integration beizutragen.
Aber auch im Sport ist gelungene Integration kein Automatismus. Integration lebt von offenen und toleranten Menschen, die neugierig sind und sich füreinander interessieren. Deshalb liegt der Fokus für eine gelungene Integration im und durch den Sport u.a. auf dem Ehrenamt und der Selbstorganisation der Menschen. Die Institutionen zu unterstützen und die Menschen zu motivieren ist ein zentraler Wesenszug einer zukunftsgerichteten Integrationspolitik im Sport. Ohne die
im Sport engagierten Menschen kann keine staatliche Integrationspolitik gelingen – mit ihnen kann sie zu einem gemeinsamen Erfolg für alle gebracht werden.
II. Der Deutsche Bundestag begrüßt:
- das vielfältige gesellschaftliche Engagement in Sportvereinen, welches maßgeblicher Träger des Sports und ein wichtiges Integrationsmotor ist,
- die Erhöhung der Übungsleiter- und Ehrenamtspauschale im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamtes,
- den praktischen Ansatz, für die Arbeit in den Verbänden, Vereinen und Initiativen lokale Integrationsbeauftragte zu benennen sowie Personen mit Vorbildfunktionen zu gewinnen, die sich in Vereinen, kommunalen Einrichtungen, Integrationsbeiräten und Schulen engagieren und auch für sportliches Engagement werben,
- das Programm „Integration durch Sport“, das seit vielen Jahren auf Bundes- und Länderebene sowie in seinen über 750 Stützpunktvereinen erfolgreiche und verlässliche Integrationsarbeit leistet,
- die interkulturelle Weiterqualifizierungen von Übungsleitern, Betreuern und anderen Interessierten durch die Landessportbünde mit Maßnahmen wie der Initiative „Sport interkulturell“ des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) sowie Handlungsempfehlungen der Sportverbände für die Akteure im Breiten- und Spitzensport,
- die Ansätze zur gezielten Gewinnung von Migrantinnen und Migranten für die ehrenamtliche Vereinsarbeit durch Programme wie „Mach mit im Verein“ aus Hessen,
- die Initiativen wie „Bewegung und Gesundheit – mehr Migrantinnen in den Sport“, um insbesondere durch den Gesundheitssport älteren Migrantinnen und Migranten den Zugang zu Sportangeboten zu erleichtern,
- die vielen, primär ehrenamtlich ins Leben gerufenen Projekte zur Stärkung der Akzeptanz und Einbindung von Migrantinnen und Migranten,
- die Kampagnen, wie z.B. „Integration durch Sport“ und „Sport und Politik verein(t) gegen Rechtsextremismus“, die vom Bundesministerium des Innern (BMI) und vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie den verschiedensten Sportverbänden unterstützt wurden,
- die Verleihung des „Fair-Play-Preises“ des deutschen Sports als gemeinschaftliche Initiative von BMI und DOSB, um Werte wie Respekt, Anerkennung und Teamgeist sichtbar zu unterstützen und den Vorbildcharakter hervorzuheben,
- die Konfliktmanagement- und Gewaltpräventionsprogramme in den Ländern und Kommunen sowie die Maßnahmen der Deutschen Olympischen Akademie (DOA) zur Stärkung des interkulturellen Lernens und der olympischen Werte im Sport,
- die weitere Verbesserung der Integration im Hochschulsport durch das Engagement an einzelnen Hochschulen sowie durch den Beitrag des Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverbandes (adh),
- die Verbreitung von Best-Practice-Modellen für Integrationsprojekte vor Ort, wie durch die Projektdatenbank „Sport integriert Niedersachsen“ des Landessportbundes Niedersachsen und des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport in Kooperation mit der Deutschen Sportjugend (DSJ) und dem Institut für Sportwissenschaft der Leibniz Universität Hannover,
- den Ausbau von Kooperationen zwischen Schulen und Sportvereinen, die insbesondere Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund den Zugang zu einem Sportangebot in der Freizeit erleichtert,
- die starken Netzwerke zwischen Sportvereinen mit bürgerschaftlichen Organisationen, Nachbarschaftshilfen, Religionsgemeinschaften, Bildungseinrichtungen, Unternehmen oder Gewerkschaften, um Integration, Inklusion und Teilhabechancen gerade in Zeiten des demographischen Wandels zu verbessern,
- das klare Bekenntnis für Respekt und Toleranz im Sport durch Fandialoge und Kampagnen wie beispielsweise „Stand Up Speak Up“, „Sport statt Gewalt“ oder „Fußball ohne Abseits“,
- die Initiativen wie „Anstoß für ein neues Leben“ der Sepp-Herberger-Stiftung zur Vorbereitung jugendlicher und erwachsener Insassen von Justizvollzugsanstalten auf das Leben nach Gefängnisaufenthalten, welche wichtige gesellschaftliche Integrationsprojekte darstellen.
* Wird nach Vorliegen der lektorierten Druckfassung durch diese ersetzt.
III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel auf,
- die bereits bestehenden Integrationsprogramme (des Bundes) zu stärken und dabei die sportwissenschaftliche Expertise und die Erfahrungen der bisherigen Integrationsarbeit des Sports noch stärker einzubeziehen, um Integrationspotenziale effektiver zu nutzen,
- verstärkt Projekte zu fördern, die die Übertragung von Integrationserfolgen im Sport auf andere Lebensbereiche unterstützen und dabei die Möglichkeiten von Sportvereinen mit der gesellschaftlichen Vernetzung nutzen, wie z.B. Nachmittagsbetreuung, Hausaufgabenhilfen oder die Unterstützung bei der Suche nach Lehrstellen,
- bei einer Fortführung des „Nationalen Aktionsplans Integration“ den Sport weiter angemessen zu berücksichtigen, durch Programme (in Zusammenarbeit mit dem DOSB) zu unterlegen und die Dialogforen zu „Sport und Integration“ zu unterstützen,
- eine weitere wissenschaftliche Begleitung der Integrationsbemühungen im Sport durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) sowie andere Forschungseinrichtungen zu prüfen,
- Projekte wie „Spin - Sport interkulturell“, die Migrantinnen den Zugang zu Sportvereinen erleichtern sollen, verstärkt zu fördern und Integrationsprojekte der Länder stärker mit der Integrationsarbeit des Bundes abzustimmen,
- sich zusammen mit DOSB, der DOA, der DSJ und den anderen relevanten Spitzenverbänden (im Spitzen- und Breitensport) für die Stärkung der Integration und der interkulturellen Kompetenzen einzusetzen,
- den organisierten Sport bei der Ansprache von (vor allem jungen) Migrantinnen und Migranten bezüglich vorhandener Freiwilligenprogramme bzw. Freiwilligendienste (wie z.B. FSJ, Bundesfreiwilligendienst,…) fortfolgend zu unterstützen,
- ähnlich dem Modell der Beschäftigungsgesellschaft des Landessportbundes Berlin den Sport zusammen mit sozialpädagogischen Partnern, Arbeitsagenturen sowie weiterer Stellen darin zu unterstützen, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (mit und ohne Migrationshintergrund) eine Berufsausbildung sowie Beschäftigungssuchenden einen Wiedereinstieg ins Berufsleben zu ermöglichen,
- sich weiterhin für eine direkte Verbindung, eine gute Erreichbarkeit und vertrauensvollen Austausch zwischen den Partnern im Sport und den Zielgruppen der Integrationsbemühungen einzusetzen sowie nach innovativen Kontaktmöglichkeiten zu suchen,
- bei der Förderung der „Dualen Karriere“ und bei der Laufbahnberatung an den Leistungsund Olympiastützpunkten die besonderen Rahmenbedingungen und Lebensumstände von Migrantinnen und Migranten weiterhin zu beachten,
- das Programm „Integration durch Sport“, welches vom Bundesministerium des Innern (BMI) und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Zusammenarbeit mit dem
Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) umgesetzt wird, auf einem höheren Niveau (als derzeitig) mit Bundesmitteln zu fördern,
- zukünftige und ergänzende Maßnahmen zur Integration im und durch den Sport (ressortübergreifend) mit den Bundesministerien abzustimmen und hierbei zudem mit den Bundesländern in einen engen Dialog zu treten,
- im Rahmen der bestehenden Bundesprogramme und Maßnahmen zur Förderung der Integration im und durch den Sport den DOSB bei einer nachhaltigeren örtlichen Umsetzung, der Entwicklung von Kooperationsvereinbarungen und Finanzierungsstrategien sowie bei einer regionalen Vernetzung mit lokalen Partnern zu unterstützen und
- den organisierten Sport bei der Gewinnung und Qualifizierung von ehrenamtlich Engagierten mit Migrationshintergrund (z.B. hinsichtlich der Vorstandsarbeit oder der Übungsleiteroder Schiedsrichterausbildung) kraftvoll zu unterstützen.
Berlin, den 14. Mai 2013
Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion
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