Priester Mihail Rahr: "Sichtbarer Glaube. Heiligenattribute in der Kunst" (Vortrag im Weimarer Schloss 17.Februar 2013). Von der Vera Icon zur heiligen Veronika. – Hermann Wislicenus: „Das Schweißtuch der Veronika“ (1884).
I. Die Ikonenverehrung in der Orthodoxen Kirche
Vor einigen Jahren erhielt ich mal am Telefon eine Interviewanfrage von einem hier in Thüringen beheimateten privaten Radiosender. Der Moderator einer Frage-und-Antwort-Sendung leitete die Frage eines Hörers weiter, der wissen wollte, was denn eigentlich die orthodoxe Kirche sei und worin sie sich vor allem von der Evangelischen Kirche. Natürlich bemühte ich mich, die theologischen Unterschiede zwischen der orthodoxen Kirche und den Kirchen der Reformation in puncto Amtsverständnis, Sakramente und Ekklesiologie darzulegen, betonte vor allem das Selbstverständnis der orthodoxen Kirche als eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, das die Orthodoxie seit dem Pfingstereignis zu dem macht, was sie ist. Der Reporter hörte meinen Ausführungen mit kaum verhohlenem Desinteresse zu, stellte ein oder zwei Zwischenfragen und bedankte sich für das Interview.
Als die Sendung einige Stunden später ausgestrahlt wurde, waren von meinem dogmatischen Feuerwerk nur Bruckstücke im O-Ton übrig geblieben. Zu 90% bestand die „Antwort“ auf die Frage des Hörers aus Erläuterungen des Reporters, die im Kern in einem Satz zusammengefasst werden können: die orthodoxe Kirche ist im Grunde die gleiche christliche Kirche, wie die evangelische und die römisch-katholische, und unterscheidet sich in ihrem äußerlichen Erscheinungsbild nur darin, dass im liturgischen und häuslichen Bereich bei orthodoxen Christen Ikonen eine übergeordnete Rolle spielen.
Als ich mich wieder gefangen hatte, konnte ich mit etwas Abstand nüchtern konstatieren, dass der Moderator der Sendung aus seiner Perspektive völlig recht hatte. Denn für die theologisch weniger bewanderten Hörer einer reinen Unterhaltungssendung spielt die äußere subjetive Wahrnehmung ganz gewiss die entscheidende Rolle. So bildet für Besucher einer orthodoxen Kirche immer die Ikonostase den sichtbaren Mittelpunkt, der ihm zu verstehen gibt, dass er sich nicht in einer katholischen oder evangelischen Kirche befindet. Und hier stellen beflissene Besucher oftmals die Frage, ob Ikonen bzw. andere bildliche Darstellungen nicht eine Übertretung des zweiten Gebots darstellen:
„Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die Mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die Mich lieben und auf Meine Gebote achten, erweise Ich Tausenden Meine Huld“ (Exod. 20: 4-6).
Um dem geneigten Fragesteller eine befriedigende Antwort geben zu können, wollen wir uns gemeinsam auf eine Zeitreise in die Geschichte der Urkirche begeben. Archäologische Zeugnisse in Ost und West lassen nämlich keinen Zweifel daran, dass bildliche Darstellungen des „Guten Hirten“, des „Lammes Gottes“, der „Weinrebe“, des „Fisches“ als Symbole für Christus den Erlöser, oder der Taube als Sinnbild für den Heiligen Geist ohne jeden Zweifel fester Bestandteil der frühchristlichen Kunst waren. Nicht selten wurde Christus, der Sohn Gottes aber auch in Seiner menschlichen Gestalt dargestellt, ebenso auch als Christkind auf dem Schoß oder an der Brust Seiner jungfräulichen Mutter. Da die Kirche Christi bis Anfang des vierten Jahrhunderts jedoch Verfolgungen ausgesetzt war, lassen sich solche Zeugnisse überwiegend in Katakomben finden. Fresken und Mosaiken des Pantokrators (Allherrschers) oder der Gottesmutter sowie der Heiligen lassen sich bald darauf in Basiliken und Kirchen aller nachfolgenden Epochen der neutestamentlichen Ära wiederfinden. Es bedarf folglich keines übermäßigen intellektuellen Aufwandes, um eindeutig belegen zu können, dass bildliche Darstellungen seit urchristlichen Zeiten die Gottesdienststätten und Wohnhäuser der Gläubigen zierten.
Die kirchliche Tradition hält darüber hinaus aber noch einen ganz besonderen Trumpf im Ärmel – das „Nicht von Menschenhand geschaffenen Bildnis des Erlösers“ (slaw. Спас Нерукотворный, griech. Mandilion). Der Überlieferung zufolge erkrankte zu jener Zeit, als der Herr Jesus das Himmelreich verkündigte, der Fürst von Edessa (Ostanatolien) mit Namen Abgar schwer. Er hatte schon viel von den Wundern Jesu gehört und entsandte einen Maler, der ein Bildnis von Jesus von Nazareth anfertigen sollte. Dieser kam auch ins Heilige Land, fand den Aufenthaltsort Jesu heraus und bemühte sich mehrfach, ein Bild von Gottes Sohn aus der Ferne zu malen, doch immer wieder misslang ihm dieses Unterfangen. Schließlich rief ihn Jesus selbst herbei, wischte den Schweiß von Seinem Antlitz mit einem großen Tuch ab und übergab es dem Boten. Dieser stellte voller Erstaunen fest, dass sich das Abbild des Herrn auf diesem Tuch von selbst verewigt hatte. Mit einem eigenhändig verfassten Brief unseres Herrn an Abgar trat der Bote die Heimreise an und überbrachte das Mandilion seinem Herrn, der darauf von seinem Leiden erlöst wurde. Aus Dankbarkeit brachte er diesen Urtyp aller Ikonen über dem Stadttor von Edessa an. Im Jahre 941 wurde diese Reliquie vor den herannahenden Sarazenen nach Konstantinopel gebracht – ein Ereignis, dessen die Heilige Kirche alljährlich am 16./29. August feierlich gedenkt. Während des vierten Kreuzzuges und der darauffolgenden Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer verschwand dieses Heiligtum im Jahre 1204 und wurde bis heute nicht wieder entdeckt.
Als einen der ersten, wenn nicht den ersten Ikonenmaler verehrt die Heilige Kirche den Apostel und Evangelisten Lukas. Ihm werden zahlreiche als wundertätig bekannte Ikonen zugeschrieben. Hier muss erklärend gesagt werden, dass zwar wohl nicht jede einzelne Ikone seinem Pinsel entstammte, wohl aber die Urtypen, von denen später Kopien angefertigt worden waren.
II. Das Schweißtuch der hl. Veronika in der orthodoxen Kirche
Wie bereits im Vortrag von Frau Dr. Wendermann angeklungen war, bezieht sich die Begebenheit der hl. Veronika, die dem Herrn bei Dessen Kreuzgang das Antlitz mit einem Schweißtuch abgewischt hatte, woraufhin auf wundersame Weise die Umrisse desselben auf dem Tuch sichtbar hervorgetreten waren, auf eine spätere Überlieferung aus dem Westen. Die ostkirchliche Tradition hält hingegen fest, dass es sich bei der hl. Veronika um die blutflüssige Frau handelt, die in Kafarnaum von ihrem zwölf Jahre andauernden Leiden erlöst wurde, nachdem sie im Gedränge heimlich den Saum des Gewandes des Herrn berührt hatte (s. Mt. 9: 20-22; Mk. 5: 25-34; Lk. 8: 43-48). Dem Synaxarion zufolge (dt. Ausg. I.M. Timiou Prodromou, Chania, Griechenland) stammte sie aus der Stadt Cäsarea Philippi (Paneas) und ließ nach ihrer Heilung eine Bronzestatue gießen, die Christus darstellte, wie Er einer vor Ihm knienden Frau die Hand reicht. Auf dem Sockel konnte man die Inschrift lesen: „Zur Ehre Gottes, des Welterlösers“. Diese Statue stellte die hl. Veronika in ihrem Haus auf, damit die Vorbeigehenden sie verehrten und ihres Urbildes, des Gottmenschen, gedenken möchten. Am Fuß der Statue wuchs eine Pflanze, die alle Krankheiten heilte. Nachdem die hl. Veronika ihr gottgefälliges Leben vollendet hatte, entschlief sie in Frieden, um sich im Himmel des Antlitzes des Herrn zu erfreuen.
Die erste Fußnote zu dieser Kurzvita der hl. Veronika nimmt als Quellenangabe Bezug auf den ersten Kirchenhistoriker Eusebius von Cäsarea, Kirchengeschichte, VII, 18. Weiter heißt es in der Fußnote: „Dies ist wahrscheinlich das einzige Beispiel der Verehrung einer Statue in der orthodoxen Tradition. Nach Sozomenes, Kirchengeschichte V, 21, wurde diese Bronzefigur Christi im Jahr 361 auf Befehl von Julian dem Apostaten zerstört.“
Wir wollen an dieser Stelle nur festhalten, dass wir hier a) zwei übereinstimmende Zeugnisse von Geschichtsschreibern haben, die sich als solche für allgemein an die historischen Fakten hielten (wenn auch, insbesondere im Falle von Eusebius, diese Fakten mit mystifizierenden Elementen ausschmückten); und b) es schon zur Frühzeit des Christentums keine Berührungsängste mit Bildern und, im vorliegenden Falle, sogar einer plastischen Darstellung des Gottmenschen gegeben hat.
Die zweite Fußnote im Synaxarion lautet wie folgt: „Nach westlicher Überlieferung soll die hl. Veronika eine Frau gewesen sein, die dem Herrn das Gesicht abwischte, als Er Sein Kreuz auf den Golgatha trug, und dabei sollen die Züge Christi dem Tuch aufgeprägt worden sein („Schweißtuch der Veronika“). Doch nach einer sehr alten Apokryphe, den Akten des Pilatus, war Veronika (Berenike) die Blutflüssige und besaß ein Porträt Christi, das sie dem römischen Kaiser Tiberius nach Rom brachte.“
Die kleine Ikone, die ich in meiner Hand halte und die in unserer Kirche erhältlich ist (auf der die hl. Veronika das Schweißtuch Christi hält), ist wohl ein Indiz dafür, dass sich beide lokalen Traditionen im Kern miteinander vereinbaren lassen bzw. in der historischen Überlieferung miteinander verschmolzen sind.
Was die Ikonenverehrung generall betrifft, ist diese also ohne jeden Zweifel in der lebendigen Tradition der ungeteilten Kirche verwurzelt, und sie blieb fester Bestandteil des liturgischen und spirituellen Lebens der Kirche, ohne dass diese Tradition irgendeiner besonderen theologischen Untermauerung bedurft hätte. Eine dogmatische-konziliare Fundierung dieser frühkirchlichen Praxis wurde aber notwendig, als die Ikonenverehrung in Frage gestellt worden war. Zwar behaupten die der Orthodoxie nicht wohlgesonnenen Denominationen allzu gerne, das 7. Ökumenische Konzil 787 in Nicäa habe „die Ikonenverehrung gesamtkirchlich eingeführt“, was jedoch grundlegend falsch ist. Ikonen und andere bildliche Darstellungen gab es, wie wir gezeigt haben, in der ganzen christlichen Antike. Man findet diese auch bei den orientalischen Kirchen, die sich beim 4. Ökumenischen Konzil 451 in Chalcedon von der Orthodoxen Kirche abgespaltet haben (Kopten, Armenier; selbst bei den Arianern und Nestorianern). Wäre die Ikonenverehrung erst 787 in der Byzantinischen orthodoxen Kirche eingeführt worden, hätten die erwähnten kirchlichen Glaubensrichtungen heutzutage wohl kaum Ikonen in ihren Gotteshäusern stehen. Vielmehr entwickelte sich die Häresie des Ikonoklasmus als Folge des zunehmenden kulturellen Einflusses der neuen, aus dem Orient kommenden Religion – des Islam. Der byzantinische Kaiser Leo der Isaurier gebot nämlich Mitte des 8. Jahrhunderts, alle Ikonen aus Kirchen, Häusern und öffentlichen Plätzen entfernen zu lassen und diese zu vernichten. Die Heilige Kirche widersetzte sich dagegen und formulierte letztendlich durch das 7. Ökumenische Konzil: „Wir verfügen, dass die heiligen und ehrenwerten Ikonen zur Verehrung genauso wie die Darstellungen des erhabenen und lebenspendenden Kreuzes präsentiert werden, seien sie nun in Farbe gemalt, in Mosaikplättchen oder aus irgendeinem anderen Material angefertigt, nur vorausgesetzt, dass sie wohlgestaltet sind und sich in den heiligen Kirchen Gottes, auf gottesdienstlichen Gefäßen und Gewändern, an Wänden und auf Plaketten befinden oder in Häusern und an Wegen, wobei es egal ist, ob diese Ikonen unserem Herrn und Gott, dem Erlöser Jesus Christus, unserer Unbefleckten Gebieterin, der Heiligen Gottesgebärerin oder den hohen Engeln und allen Heiligen und Gerechten gelten. Je öfter diese mit Hilfe der Ikonen Objekt unserer Anschauung werden, um so mehr werden die Betrachter der Ikonen an die göttlichen Urbilder erinnert, von Liebe zu ihnen erfüllt und bewegt, sie zu küssen, zu verehren und sich vor ihnen niederzuwerfen, aber dies ist durchaus nicht jener wahre Gottesdienst, der alleine dem göttlichen Wesen im Glauben gebührt. Wenn man diese Ikonen anschaut, fühlt man sich angeregt, ihnen Weihrauch darzubringen und Kerzen zu ihrer Ehre anzuzünden, wie dies in alten Zeiten geschah, denn die Verehrung, die wir der Ikone zeigen, gilt ihrem Urbild, und der die Ikone Verehrende betet in Wirklichkeit die Hypostasis des auf ihr Dargestellten an“.
Und doch ergibt sich die Frage, weshalb die Ikonen in der westlichen Hemisphäre nicht die gleiche Bedeutung haben, wie im Osten, waren doch die Verteter des Papstes von Rom bei jedem der sieben Ökumenischen Konzilien mit von der Partie, so dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dass die Römische Kirche diese Beschlüsse eigentlich vorbehaltlos (und somit verbindlich) mitgetragen hat. Demnach hätte es in der lateinischen Tradition genauso eine Ikonenverehrung geben müssen, wie in der byzantinischen.
Wie so oft, gaben politische Gründe den Ausschlag für den Beginn einer Entfremdung – nicht nur in der Frage der Ikonenverehrung. Diese sollte aber einen Vorwand liefern für die sich nun abzeichnende Spaltung zwischen Ost und West.
Der Frankenkönig Karl, im Westen „der Große“ genannt und als Vater des (abendländischen) Europa verehrt, suchte den offenen Bruch mit dem (Ost-)Römischen Kaiserreich, um selbst Kaiser im Westen werden zu können. Zunächst fehlte ihm dazu ein Vorwand. Als nun die Kaiserin Irene – eine Frau! - den byzantinischen Thron bestieg und die Ikonenverehrung nach dem Sieg über die Bilderstürmer wieder einführte, war die Stunde gekommen, die Kirche des Ostens der Häresie zu bezichtigen. Karl, der selbst Zeit seines Lebens Analphabet war, lies durch seinen Theologen Alquinus eine Hetzkampagne gegen die Byzantiner vom Stapel. Sieben Jahre nach dem Ökumenischen Konzil von Nicäa ließ er durch das Pseudo-Konzil von Frankfurt / Main im Jahre 794 die Ikonenverehrung zur Häresie erklären. Dann, im Jahre 800 ließ er sich in Rom zum Kaiser des Weströmischen Reiches krönen, wodurch es zum offenen Bruch zwischen Ost und West kam – was auf lange Sicht auch nicht ohne Folgen für die Einheit der Kirche bleiben konnte. Denn bis heute begreift man „Europa“ im Westen, überspitzt formuliert, als hätte es nur eine westliche, aber keine östliche Hälfte, was nicht nur geographisch und geometrisch gesehen völlig absurd ist und kulturhistorisch von beispielloser Ignoranz und Arroganz zeugt (kein Wunder also, dass für den „Kanzler der Alliierten“ Sibirien bereits jenseits des Rheins begann). Auch heute ist es doch so, dass sich der Westen immer als Maß aller Dinge sieht und der Osten in allem blind dem Westen nachfolgen soll – notfalls mit Gewalt. Oder hat es seit der Zeit Karls des Großen (die stalinistische Ära einmal ausgenommen) in Europa jemals einen kulturell, politisch, militärisch, ökonomisch oder religiös motivierten „Drang nach Westen“ gegeben?!
Fortan kannte man also in der lateinischen Tradition durch das Diktat der Politik Karls keine Ikonen. Zwar schenkte uns die Renaissance wahre Wunderwerke an Gemäldemalerei, - denken wir nur an die Madonna von Raphael, die sich ja ursprünglich in der Sixtinischen Kapelle befand, - doch sind dies trotz ihres religiösen Bezugs keine Kultgegenstände, denen im liturgischen Sinne Verehrung entgegengebracht wird. Das griechische Wort eikon bedeutet zwar auch nur Bild, Bildnis, doch unterscheidet sich eine Ikone von einem Gemälde durch die Art der Inspiration. Raphael, Michelangelo, Leonardo da Vinci, Botticelli, Rubens oder Rembrandt u.v.a. waren begnadete, geniale Künstler. Für das Bildnis einer Madonna brauchten sie als Vorlage ein schöne junge Frau, die, wenn möglich, noch nicht ihre Unschuld verloren hatte (wobei solchige zu finden zu ihrer Zeit noch kein völlig hoffnungloses Unterfangen darstellte). Ikonenmaler wie die heiligen Andrej Rubliow, Alipij vom Höhlenkloster oder Theophanes der Grieche haben hingegen keine Kunstakademien besucht. Da sie Mönche waren und als solche im (Männer-)Kloster lebten, konnten sie sich auch keine jungen Frauen als Modell besorgen. Sie wurden vielmehr infolge eines meditativen Lebens durch Beten und Fasten vom Heiligen Geist inspiriert. „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“ (Mt. 5: 8). Das, was sie mit ihrem spirituellen Auge sehen, bringen Ikonenmaler durch Formen und Farben für das physische Auge sichtbar zum Ausdruck. Und so bezeichnet man die Ikone auch als „Evangelium in Formen und Farben“, denn sie zeigt den Mensch gewordenen Gott, Seine Unbefleckte Mutter, die körperlosen Engel oder die durch die Gnade Gottes verherrlichten Heiligen in ihrem himmlischen, vergöttlichten Zustand, - so wie es die menschliche Hand darzustellen und das menschliche Auge wahrzunehmen imstande ist.
Sie sehen, nicht das menschliche Genie ist ausschlaggebend – der größte Theologe des Neuen Testamentes war kein Professor, sondern einfacher Fischer – sondern die Gnade Gottes im Zusammenspiel mit der Demut des menschlichen Herzens.
Bisher habe ich überwiegend mit meinem begrenzten menschlichen Verstand versucht, Ihnen die Lehre der Kirche in Bezug auf die Ikonenverehrung darzulegen. Zum Abschluss meines heutigen Vortrags will ich erneut die Kirche selbst zu Wort kommen lassen, und zwar anhand der Texte der Ikonenweihe, wie sie in der orthodoxen Kirche vorgeschrieben sind. Hier wird deutlich, dass gemäß der Lehre der Kirche das alttestamentliche Verbot der bildlichen Darstellung durch die Erscheinung Gottes im Fleische hinfällig geworden ist. Wenn der dreieinige Gott also geruhte, Sich den Menschen nicht nur durch die Schrift, nicht nur in Gestalt des Menschensohns, sondern auch als Trinität empirisch wahrnehmbar zu offenbaren, sie ferner durch Taufe und Myronsalbung an Seiner Gottheit teilhaben zu lassen, Sich ihnen in der Eucharistie gar als Speise und Trank hinzugeben und Sich mit ihnen durch die Mysterien der Kirche zu vereinigen, dann ist doch die Trennmauer zwischen Gott und Mensch überwunden, so dass der Mensch es wagen darf, Gott als Vater anzurufen. Und in dieser, durch das Versöhnungswerk des Gott-Menschen entstandenen „Intimität“ ist kein Platz für Verbote.
Gebet zur Weihe einer Christus-Ikone bzw. einer Ikone zu Ehren eines Festes des Herrn:
„Herr, Gott, Allherrscher, Gott unserer Väter, Der Du Dein Volk, das auserwählte Israel, von der Verlockung zum Götzendienst befreien und dazu führen wolltest, dass es Dich als den einzig wahren Gott erkenne und Dir immerdar diene und niemals von Dir weiche, Du hast durch ein Verbot ihm untersagt, sich selbst Bilder und Gleichnisse zu schaffen und als Gott zu verehren und diesen zu dienen, welche Dir, dem wahren Gott widersprechen. Andererseits aber hast Du geboten, Gleichnisse und Bilder anzufertigen, durch die nicht die fremden Lügengötzen, sondern Dein, des einzigen wahren Gottes allheiliger und erhabener Name geheiligt werde: So hast Du zuerst dem Moses geboten, in dem Heiligtum Deines Gesetzes, auf der Lade des Zeugnisses zwei goldene Cherubim aufzustellen, zwei weitere aber an den Ecken der Sühnestätte, auf den Vorhängen jedoch eine Menge Cherubim in Seide zu arbeiten und anzubringen. Auch im Altarraum von Salomons Tempel wurden zwei Cherubim aus Zypressenholz, von Gold überzogen, aufgestellt, die Lade aber, in der die steinernen Gesetzestafeln, das goldene Gefäß und Aarons Stab waren, hast Du geboten, in Ehrfurrcht und mit gottgefälliger Verehrung durch Weihrauch und vor ihnen verrichtete Gebete zu achten; denn wenn sie auch Werke von Menschenhand waren, so bezeichneten sie doch die Majestät Deiner Herrlichkeit und trugen in sich das Gedächtnis Deiner allgerühmten Wohltaten und Deines wunderbaren Wirkens.
Eben diese Verehrung aber hast Du, als Dir selbst erwiesen, gnädig angenommen. In der Fülle der Zeit jedoch hast Du Deinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, gesandt. Geboren von einer Frau, der Immerjungfrau Maria, hat Er Knechtsgestalt angenommen und wurde den Menschen gleich; den Umriss Seines allreinen Bildes zeichnete Er durch Anlegen eines Tuches an Sein allheiliges Antlitz und übersandte ihn dem Abgar, dem Fürsten von Edessa, und diesen heilte Er so von der Krankheit, und allen, die gläubig dorthin kommen und es verehren, gab Er unzählige Heilungen und viele wunderbare Wohltaten.
So haben auch wir, unser gütiger und allherrschender Gebieter, dieses Bild Deines geliebten Sohnes zum Gedächtnis der erlösenden Fleischwerdung geschaffen und zum Gedächtnis all Seiner ruhmreichen Wohltaten und Wunder, die Er dem Menschengeschlecht erwiesen, da Er auf Erden als ein Mensch erschienen ist. Nicht aber haben wir das Bild erstellt, um es zu einem Gott zu machen, sondern wir wissen, dass die dem Bilde erwiesen Ehre auf das Urbild übergeht; deshalb flehen wir unablässig zu Dir: Blicke gnädig auf uns herab und auf dieses Bild und um der Fleischwerdung Deines Sohnes willen und Seiner Erscheinung bei uns, zu deren Gedenken wir ja das Bild angefertigt haben, sende uns Deinen himmlischen Segen herab und die Gnade des Allheiligen Geistes, und segne und heilige das Bild; schenke ihm heilende Kraft, alle teuflischen Ränke zunichte zu machen, und erfülle es mit Segen und mit der Kraft jenes heiligen, nicht von Menschenhand gemachten Bildes, welches durch die Berührung mit dem heiligen und allehrwürdigen Antlitz Deines geliebten Sohnes so reich ausgestattet wurde; gewähre diesem Bilde, durch seine Kräfte und Wunder zur Befestigung des orthodoxen Glauberns beizutragen und zum Heil Deiner Gläubigen, auf dass alle, die vor ihm Dich und Deinen eingeborenen Sohn und den Allheiligen Geist anbeten und gläubig anrufen, in ihrem Gebet immerdar erhört werden und dass Erbarmen Deiner Menschenliebe erlangen und die Gnade empfangen.
Du bist ja unsere Heiligung und Dir senden wir die Lobpreisung empor samt Deinem eingeborenen Sohne und Deinem Allheiligen und guten und lebendigmachenden Geiste, jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit!“ Amen.
Gebet zur Weihe einer Ikone der Allheiligsten Dreifaltigkeit:
„Herr, Gott, der Du in der Dreifaltigkeit verherrlicht wirst, Den der Verstand nicht zu begreifen, noch in Worte zu fassen vermag, Den keiner der Menschen je sah! Doch genauso wie wir es aus den heiligen Schriften und den Lehren der gottverkündenden Apostel gelernt haben, so glauben wir auch, und so bekennen wir Dich als den anfanglosen Vater und Deinen Sohn von gleichem Wesen, und Deinen Geist auf gleichem Throne und von gleicher Natur.
So kündet uns ja auch die Schrift des Alten Bundes von Deiner Erscheinung im Bilde der drei Engel, die dem allgerühmten Patriarchen Abraham zuteil wurde. Zur Zeit der neuen Gnade aber erschienen der Vater in der Stimme, der Sohn im Fleische im Jordan und der Heilige Geist in der Erscheinung einer Taube. Und wieder war es der Sohn, welcher im Fleische auffuhr in den Himmel und sitzet zur Rechten des Vaters und auf Seine Apostel den Tröstergeist herabsandte in Gestalt feuriger Zungen. Auf dem Tabor aber zeigte sich den drei Jüngern der Vater in der Stimme, der Heilige Geist in der Wolke und der Sohn im alles strahlenden Lichte: Da wir nun allzeit dieser Heilsereignisse gedenken, bekennen wir Dich, den einzigen ruhmreichen Gott, nicht allein mit den Lippen, sondern zeichnen auch Dein Bild, nicht um es zu vergöttlichen, sondern um immer, wenn wir es mit unseren körperlichen Augen ansehen, mit unseren geistigen Blicken Dich, unseren Gott, zu schauen und zu verehren, ja Dich, unseren Schöpfer, Erlöser und Heiligen zu rühmen und hoch zu preisen und uns Deiner unermesslichen Wohltaten zu erinnern: die dem Bilde erwiesen Ehre geht ja auf das Urbild über!
Da wir nun diese Ikone vor Deiner Majestät in der eben ausgesprochenen Absicht niedergelegt haben, flehen wir und bitten, dass wir Deine Güte uns gnädig stimmen: Schaue gnädig auf diese Ikone und sende Deinen himmlischen Segen und in Deinem dreimalheiligen Namen segne und heilige sie, auf dass alle, die sie fromm ehren und vor ihr Dich demütig anbeten und gläubig anflehen, das Erbarmen erlangen und die Gnade empfangen mögen; auch sollen sie von allen Übeln und Leiden befreit werden, die Vergebung aber der Sünden erlangen und des Himmelreiches gewürdigt werden.
Durch Deine Gnade und die Erbarmungen und die Menschenliebe des einzigen in der Dreifaltigkeit verherrlichten Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Dem die Ehre ist, jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit!“ Amen.
Gebete zur Weihe einer oder mehrerer Heiligenikonen:
Erstes Gebet: „Herr, Gott, Allherrscher, Gott unserer Väter, Der Du einst im Alten Bunde angeordnet hast, ein Abbild der Cherubim aus Holz und Gold und aus Seidenstoff im Zelte des Zeugnisses anzufertigen, Du verwirfst auch heutzutage nicht die Ikonen und Abbilder Deiner Heiligen, sondern nimmst sie an, damit Deine gläubigen Knechte (und Mägde), wenn sie auf diese schauen, Dich verherrlichen, Der Du jene verherrlicht hast, und sich bemühen, in Leben und Taten ihnen nachzueifern, um so durch die Heiligen Deiner Gnade und der Aufnahme ins Himmelreich gewürdigt zu werden.
So bitten wir Dich, schaue jetzt hernieder auf diese Ikone, die zum Ruhm und Andenken Deines/-r Heiligen (N.N.) angefertigt und gemalt wurde, und segene sie mit Deinem himmlischen Segen und heilige sie, ebenso alle, welche sie verehren und vor ihr Dich anbeten und anrufen, den/die Heilige/-n (N.N.) aber um Fürbitte bei Dir anflehen. Als ein Erhörer der gnädigen Bitten Deines Knechtes und Freundes / Deiner Magd und Freundin sei auch ein guter und reicher Spender, errette sie von jeglichem Leid und aller Bedrängnis, von jeder Krankheit des Leibes und der Seele und würdige sie der von Dir erflehten Gnaden und Barmherzigkeiten auf die Fürbitten Deines/-r heiligen (N.N.)
Du bist ja der Quell der Heiligung und der Spender der guten Gaben, und Dir senden wir die Lobpreisung empor, dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste, jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit!“ Amen.
Zweites Gebet: „Herr, unser Gott, den Menschen hast Du nach Deinem Bilde und Gleichnis erschaffen, und – nachdem dieses Bild durch den Ungehorsam des Erstgeschaffenen – zerstört war – hast Du es erneuert durch die Menschwerdung Deines Christus, Der Knechtsgestalt annahm und von Ansehen als ein Mensch erfunden ward. So hast Du Deine Heiligen wieder zur ersten Würde geführt, sie, deren Abbilder wir fromm verehren, die Heiligen, welche Dein Bild und Gleichnis sind, ehren wir ja! Da wir aber diese ehren, ehren und rühmen wir Dich als das Urbild. Darum bitten wir Dich, sende Deine Gnade und segne durch die Besprengung mit diesem Weihwasser dieses Bild und heilige es zu Deinem Ruhme und zu Ehre und Andenken Deines/-r heiligen (N.N.). Alle aber, die dieses Bild verehren und vor ihm ihre Bitten zu Dir richten, segne und würdige gnädig, von Dir Erbarmen zu erlangen.
Durch die Gnade und die Erbarmungen und die Menschenliebe Deines eingeborenen Sohnes, mit Welchem Du gepriesen bist samt Deinem Allheiligen und guten und lebendigmachenden Geiste, jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit!“ Amen.
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